Dienstag, 9. Februar 2010

Der Geist der alten Thailehrerin (8)

Teil 8, Ende der Qual

So nahmen die Qualen und Anspannungen ständig zu und fanden ihren vorläufigen Höhepunkt als Jürgen abends zu seinem Essen kein Bier vorfand. Er fuhr sie an, daß sie eine elende dumme Gans sei, faul, fernsehabhängig und unfähig, ihrem Mann zum Essen ein Bier zu besorgen, womit er ihr das Essen samt Teller vor die Füße warf, dass es nur so spritzte. Dann stand er auf und ging hinaus. Mit lautem Krachen warf er die Tür ins Schloss und verschwand zu seinen Kumpels in die Kneipe. Das war zuviel für Mäo, sie hatte keinen Platz mehr für all die Bedrängungen, für all den Druck von allen Seiten. Alles hatte sie ohne Murren ertragen für das eine höhere Ziel, dem Ehemann stets eine gute und treusorgende Frau zu sein wie sie es von der Mutter gelernt hatte, doch jetzt brach diese letzte Stütze auch noch weg. Wo hatte sie noch Rückhalt, wem konnte sie ihre waidwunde Seele ausbreiten? Sie fühlte sich kraftlos und leer, entwurzelt und ganz unendlich allein. Keine Freundin weit und breit, der sie sich anvertrauen konnte, und die alte Heimat war auch nur an Erfolgsgeschichten interessiert und wollte kein Lamento hören. Verzweifelt dachte sie daran, nach Thailand zurück zu fliegen, doch verwarf sie diesen Gedanken schnell. Auf Rückkehrflüchtlinge mit leeren Taschen wartet dort niemand. So sah sie nur einen Ausweg. Sie streifte ihren Schmuck ab und nahm ihren Mantel vom Haken und ging in die nahe Grünanlage.

Der Teich lag ruhig und glänzte mattschwarz, und nur in Ufernähe zogen einige Entenpaare ihre bedächtigen Runden. Das Wasser war kalt und kroch ihr langsam den Leib hoch. Rasch nahm der weite Mantel das Wasser auf und zog sie sanft hinunter. Ihr letzter Gedanke war Freude und Stolz. Endlich konnte sie triumphieren. Sie wusste, es musste gelingen, denn sie konnte nicht schwimmen. Von Ferne hörte sie noch die Glocken des nahen Kirchturms zur Abendstunde schlagen, als im Gurgeln des Wassers ihr Kopf untertauchte und sie aufhörte, sich zu wehren.

Die Geister der alten Thailehrerin und Nui, die Mäo auf ihrem langen Weg in ihren aus Unwissenheit und Überheblichkeit gezimmerten goldenen Kerker begleitet hatten, saßen schweigend am Ufer. Geister sind keine Lebensretter, sie mischen sich nicht ein. Die Menschen entscheiden selber, was sie tun, und können nicht darauf hoffen, daß Geister sie heraushauen. Zwar sehen Geister mehr, aber sie bleiben unbeteiligte Beobachter. Sie sehen, daß Menschen viele dumme Dinge tun, daß sie viele unnütze Fehler machen und daß ihre Gefühle sie oft in die Irre führen. Aber das gehört zum Menschsein. Geister sind wissend und erfahren, aber sie bleiben neutral und übernehmen keine Führung. Die Menschen müssen ihr Leben alleine gestalten und den Kampf mit ihren Entscheidungen und Fehlentscheidungen alleine ausfechten. Dies ist ein Teil ihres Lebenssinns.

Mäo, die mit hängendem Kopf im Wasser trieb, hatte keine Chance. Das Wasser war zu seicht zum Ertrinken, selbst für eine Nichtschwimmerin. Sie musste am Leben bleiben. Aus ihrer Sicht ein weiterer Misserfolg. Ein Spaziergänger hatte sie an Land gezogen und ihr den Kopf ins Gras gedrückt, bis sie alles Wasser ausgespuckt hatte. Dann drehte er sie herum und fragte sie, wie es ihr ginge, doch Mäo starrte mit großen offenen Augen geradewegs in das Stückchen aufgeklappten Himmel zwischen den Zweigen, und dachte nur „Warum“.

Als Jürgen sie in der Psychiatrie besuchte, saß sie wie ein gehetztes Tier auf dem Bett und guckte mit angstvollen Blicken zur Tür. Sie hatte einen weiteren Entschluß gefasst, und den teilte sie Jürgen auch mit. Sie wollte zurück nach Thailand. Und zwar sofort. Jürgen war verbittert, sah aber ein, dass sie hier in Deutschland nicht glücklich werden würde. So willigte er ein. Er ließ die Scheidungspapiere von einem Anwalt vorbereiten, die sie alle blind unterzeichnete, und zwei Tage später brachte er sie zum Flieger. Er hat nie wieder von ihr gehört.

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