Freitag, 15. Oktober 2010

Der Besuch der Prinzessin

Der Besuch der Prinzessin

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Normalsterblicher in die unmittelbare Reichweite zu einer leibhaftigen Prinzessin kommt. Das sind schon besondere Momente im Leben, wiewohl ich eingestehen muss, dass ich als zwangfrei denkender Altachtundsechziger eigentlich wenig empfänglich bin für royalistische Konventionen. Doch das sehen unsere Mit-Thais völlig anders!

Das Hotel in Südthailand, in dem ich seit 2 Wochen lebe, ist seit Tagen im Ausnahmezustand. Vor drei Tagen schon kam eine Fliegerstaffel hier an und eine Gruppe Sicherheitsleute durchkämmte jeden Winkel. Tags drauf trafen die beiden Lieblingshunde der Prinzessin ein, die in einem oberen Stockwerk mehrere Zimmer belegten. Und schließlich musste ich sogar aus meinem Unterrichtsraum ausziehen, in den dann eine Einheit von Sicherheitspolizisten einrückte. Das achtzehnte Stockwerk war komplett für die Prinzessin reserviert, einer von den drei Liften stand nur für sie bereit und war gesperrt und die Tiefgarage wurde von allen Fahrzeugen geräumt. Aus Bangkok war eigens ein schwer behangener Fotograf eingeflogen, um die denkwürdigen Momente festzuhalten. Viele seiner früheren Bilder hingen bereits überall auf den Hotelfluren und in den Zimmern und gaben reichlich Zeugnis von seinen furchtlosen Reisen in ferne Länder, wobei er als wärmeempfindlicher Thai sogar vor solch grimmigen Ausflügen in den bayerischen Februar nicht zurückschreckte, von dem er jüngst zurückgekommen war.


Dann endlich nahte der große Moment. Zwar wurden uns noch zwei lange Stunden Herumsteherei in der Hotel-Lobby abverlangt. Aber was ist das schon gegen das Erhaschen eines Augenblicks mit Sirindhorn! Alle waren angetreten: vom Küchenpersonal, über die Bedienungen des Restaurants, die gesamte niedere Verwaltung bis hoch zu den geschäftsführenden Mitgliedern der Hotelgruppe und schließlich die komplette Eignersfamilie samt Kindern. Sogar ein älteres Ehepaar aus Norwegen, das schon seit vielen Jahren regelmäßig in dieses Hotel kommt und darin monatelang wohnt, hatte sich in den Galakordon eingereiht und bot auf einer geschmückten Gabenschale einen lehrreichen Bildband über Norwegen dar. Die Frau aus dem hohen Norden Europas balancierte mit großer Grandezza ein folklorereiches Wallegewand mit lieblichen Stickereien durch die Wandelhalle, das in vergangenen Zeiten unzweifelhaft als Wikingerjurte einer kleinen nordischen Familie Herberge gewesen war, wohingegen ihr Mann mit einem schlichten lilafarbenen Frackhemd daher kam, welches aber vor lauter Stärke auch mühelos hätte allein laufen können.


Der Hotelgründer ist eine lokale Geschäftsgröße, der in zweiter Generation zwei angesehene Hotels in der Stadt betreibt und auch im Tourismus engagiert ist, doch die Grundfesten der Unternehmensaktivitäten sind im Fischbusiness verankert. Er besitzt mehrere Fabriken und Fisch verarbeitende Betriebe in der Gegend, und seinen weithin bekannten Konservenfisch “Bumpui” verkauft er sogar über die Grenzen Thailands hinaus. Dabei ist er ein umgänglicher und leutseliger Mensch geblieben, der für jedermann ein paar freundliche Worte übrig hat. Jegliche Blasiertheit und Aufgeblasenheit sind ihm gänzlich fremd. Ein wenig umgibt ihn noch diese familiäre Atmosphäre eines treusorgenden Unternehmenspatrons, der seine Angestellten noch mit dem Namen kennt. Seine Vorfahren waren vor langen Jahren aus China eingewandert, die mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit die Grundfesten für ein lokales Miniimperium geschaffen hatten, das heute ihren Nachfahren einen erklecklichen Wohlstand beschert.


Draußen vor der Hotelauffahrt kauerte das Volk hinter einer Absperrung, während im Inneren die Aufstellungen allmählich zu militärischen Formationen gerieten. Vor der Tür stand die Eignersfamilie in Reih und Glied, deren Frauen auf dekorierten Schalen Blumenkränze zur Begrüßung darboten, während auf der anderen Seite des roten Teppichs die beiden Hunde der Prinzessin zu Füßen ihres Betreuers lagerten. Die königliche Familie besitzt insgesamt 21 Hunde, die von sechs Pflegern versorgt werden. Tipsi, der Lieblingshund der Prinzessin, ist ein lebendiges, und äußerst aufmerksames Hündchen mit spitzen Ohren, das auf Kommando Männchen machen kann, und sein überwältigender Charme läßt die umstehenden Thais in wahre Verzückungstaumel fallen. Der in seinem dicken Fell schwer schnaufende Bernhardiner hingegen hat nach Auskunft seines Pflegers ein paar absunderliche Eigenheiten angenommen, die keiner so recht versteht. Er mag nämlich keine Ausländer, woraufhin ich verschreckt jegliche Tätschelversuche einstellte.

Immer wieder mal rauschten hochkarätige Luxuskarossen und abgedunkelte Minibusse heran, aus denen drahtige Militärburschen sprangen, deren braune Hemden mit Abzeichen, Dienstmarken, Banderolen und Dekorierungen derart absurd zugepflastert waren, dass es jede gewissenhafte Büglerin vor unlösbare Aufgaben stellen musste. Dazu hantierten sie mit ständig quäkenden Funkgeräten und mehreren Mobiltelefonen, deren Verdrahtung es aber nicht ganz bis ins Gehirn geschafft hat, da sie über den Ohrmuscheln hängen geblieben war. Ein Offizier raunte uns zu, dass die Prinzessin, die auf dem Rückweg vom Besuch einer Provinzschule war, inzwischen auf dem lokalen Flugfeld gelandet sei. Nun könne es wirklich nur noch Minuten dauern. Durch das Spalier ging ein Wispern und ein allerletztes Zupfen an der Garderobe. Doch einer Gruppe Touristen, die in Achselshirts und kurzen Hosen wenig Einfühlungsvermögen mit den respektsüchtigen Thais in ihren tadellosen lila Galahemden bewiesen, wurde es allmählich langweilig und sie fingen in Ermangelung besserer Motive schon mal an, sich gegenseitig selber zu knipsen.

Dann war es soweit. Die Prinzessin fuhr vor. Die Eignersfamilie machte brave Knickse und überreichte die bereit gehaltenen Aufmerksamkeiten zur Begrüßung. Dann fütterte die Prinzessin die Hunde mit vorbereiteten Knabberstangen und trat in die Hotelhalle. Augenblicks knickte das Spalier der Wartenden in Demut und Verehrung ein, während die Prinzessin zu einer aufgehängten Gongschale geleitet wurde, die sie mit einem einzigen wohl gezielten Schlag zum Schellen brachte. Hierauf drehte sie sich um und ging gemessenen Schrittes durch die wartenden Reihen, wobei sie um ein Haar den norwegischen Bildband verpasst hätte. Eilig und unter heftigem Kopfnicken verriss der norwegische Mann seine Hände zu einem etwas entgleisten Wai, während der schwer schwitzende Fotograf durch die Hotelhalle segelte wie ein hakenschlagender Hase, um unvergessliche Momente unvergessen zu machen. Hiernach begab sich die Prinzessin umgehend zu ihrem Lift und schwupps war sie auch schon verschwunden.

Nanu, was war das denn? Keine Ansprache, keine kleine Begrüßungsrede, keine Dankesadresse! Nichts? Eine weite große Hotelhalle voller Menschen, aufgereiht in zwei sich windenden Schlangen, die während ihres Vorübergehens wie lautlose La-Ola-Wellen auf und nieder schwappten, und dennoch fiel kein einziges Wort, kein einziger lauter Ton, nur das blecherne Scheppern des Hausgongs und das pelzige Husten des Bernhardiners, dem das Knabberstängelein wohl nicht genug war. Das ging alles so schnell, so routiniert und so geräuschlos vonstatten, als wäre ein Spuk vorüber gezogen. Die Menschenreihen standen noch immer wie ein festgemauerter Wall, der nicht umfallen wollte, nur einige taumelten wie traumatisiert nach vorne, auf ihren Gesichtern eine Mischung aus heiliger Verehrung und Erleichterung.


Nur allmählich normalisierte sich das Leben, und jeder ging wieder an seine Arbeit. Unauffällig verdrückte sich das Küchenpersonal, die Verwaltungsangestellten zogen sich zu einem Plausch zurück, die Touristen konnten endlich auf ihre Zimmer und die Militärs waren hungrig und belagerten die Restauranttische. Nur einige Sicherheitsposten standen stocksteif und reglos an den Türecken als hätte man ihre Füße in Beton gesteckt.

An diesem Abend blieb die hoteleigene Disko geschlossen und auf der Biergartenterrasse gab es keine Lifemusik. Unter den strengen Augen der überall herumstehenden Militärposten traute sich kein einziger Thai Platz zu nehmen, nur ein paar unverbesserliche Farang-Touristen saßen um ein paar Biere. Aber die genossen ja sowieso Narrenfreiheit.

Am nächsten Morgen kam ich gerade rechtzeitig herunter, um die Abreise der Prinzessin mitzuerleben. In der Hotelhalle lösten sich gerade die Wartereihen auf, und vor dem Eingang überreichte das Hotelmanagement nette Abschiedsgeschenke. Die Prinzessin fütterte abermals ihre Hunde, und nahm dann auf dem Rücksitz ihres schlohweissen Mercedes Platz, auf dessen Zulassungsplakette eine Zahlenreihe aus vier Achten prangte. Ebenso sanft wie lautlos drückte ein kerzengerader Militär die Autotüre ins Schloß als würde er sich genieren, die Prinzessin mit solch trivialen Geräuschen behelligen zu müssen. Hierauf verbeugte er sich, wonach die gesamte Hotelfamilie mit nach hinten unterschlagenen Beinen regelrecht zu Boden fiel, sich mit den vor der Brust zusammengelegten Händen tief verneigte und in hündischer Anbetung verharrte bis der Wagen abgefahren war.

Das sind für europäische Augen schon sehr ungewohnte Anblicke und man steht ein wenig perplex dabei. Zwar gibt es auch in westlichen Ländern Königshäuser, doch bringt man denen weder Ehrfurcht noch gar Anbetung entgegen, sondern zieht sie mit Vorliebe durch die Klatschgazetten der Presse, damit sich die Leserschaft an ihren delikaten Ungeschicklichkeiten ergötzen kann.

In unseren westlichen Ländern, in denen Gemecker und beißendes Geläster vor Autoritäten keinen Halt kennt, in denen Respektlosigkeiten aus jeder Schultüre wabern und in denen niveaulose öffentliche Bloßstellungen einen großen Teil der Unterhaltung der Menschen ausmachen, mag man solcherlei Szenen den Rang folkloristischer Aufführungen beimessen, von lediglich momenthaftem Aufmerksamkeitswert.

Wir Fremden in diesem schönen Land werden die glühende Verehrung der Thais für ihre Oberhäupter niemals teilen können. Wir mögen manche Entartungen in unseren Heimatländern verabscheuen, aber feudalistische und hierarchische Gesellschaftsstrukturen haben wir lange und aus guten Gründen hinter uns und als Zukunftsmodell taugen sie uns erst recht nichts mehr. Doch Thailand - wie man sieht – kommt mit diesem verstaubten, vertikal gegliederten Gesellschaftskonstrukt ganz gut zurecht. Hier ist der Einzelne eingestellt in eine Rangordnung, die ihm einen bindenden Platz zuweist. Seine Welt ist überschaubar. Dem Ranghöheren gebührt IMMER Respekt, und dieser wird NIE in Frage gestellt. Das mag uns fossil und angegraut anmuten, aber es führt kein Weg an der Einsicht vorbei, dass die Thaigesellschaft nun mal genau so und nicht anders funktioniert. Verurteilen steht uns nicht zu, zumal die feinen Thaiohren für Farang-Kritik ohnehin schon immer einen sehr zuverlässig arbeitenden Schließmechanismus gehabt haben. Was bleibt, ist das Anerkennen der doch nicht zu ändernden Tatsachen und das Üben im Verstehen.

©Paul Martini, März 2009