Donnerstag, 3. Dezember 2009

Sawadi bi mai, Buddha!

Heute ging ich zu Buddha.

Die Luft war weich und roch nussig, und von hinten schlüpften mir ein paar vorwitzige Lüftlein unters verschwitzte Hemd, um mich ein wenig zu kitzeln. Das tat mir gut. Vor mir lag ein spiegelblanker Bergsee, über dem sich eine tobende Bande junger Mauersegler übermütige Flugmanöver lieferten. Immer wieder stachen sie pfeilgerade in den Himmel, bogen blitzgeschwind in scharfe Kehren ein und sausten im Segelgleitflug über die glatte Wasseroberfläche zurück.

Auf einer Wasserplattform lärmten ein paar betrunkene Thais in der sich senkenden Nachmittagssonne und reichten sich Bierflaschen zu. Dann wieder Stille über den alten chinesischen Grabanlagen. Nur das Mahlen der Reifen in dem ausgewaschenen Sandweg und das Flüstern des Windes in den blattlosen Bambusgehölzen.

Buddha hatte mich schon kommen sehen, was kein Kunststück war, schließlich thronte er erhaben hoch oben vor einer Felswand, zu der exakt 109 Stufen hinaufführten. So konnte er das Gelände bis zum Meer weithin gut überblicken. Ich begrüßte ihn mit einem artigen Wai*, aber er verzog keine Miene. Man hatte ihn in ein frisches goldscheinendes Gewand gekleidet und über seinem respektablen Kugelbauch baumelte eine überdimensionierte Halskette aus schwarzen Perlen, die ihm bis zum Bauchnabel reichte. Vor seinen unterschlagenen Füßen standen je zur Seite ein Strauß vertrockneter Blumen und in der Mitte ein halbvoller Plastikbecher mit Wasser, aus dem ein Strohhalm herausragte.

„Ei, Buddha“, sagte ich, „da sitzt du hier abseits in den Hügeln auf den verbrannten Knochen von ein paar toten Chinesen und schaust auf uns herunter als wären wir Gewürm. Was denkst du dir nur? Dabei braucht dich doch keiner mehr, außer ein paar alten Weibern vielleicht, die dir ihre Ersparnisse in den Wat* schleppen. Doch als Lehrmeister bist du nicht mehr gefragt. Von wegen „achtfacher Weg zur Überwindung des Leidens“! Daß ich nicht lache! Davon will doch heute keiner mehr was wissen! Kwam Suk* und Sabei* ist angesagt und viel Sanuk*!“

Gewiss, ich redete ein wenig respektlos daher, aber dem Buddha kann ich das schon mal sagen, auch ganz direkt und unverschnörkelt, nicht so wie zu meinen lieben Thais, die es mögen, wenn man möglichst verwunschen um den heißen Brei herum fabuliert und dabei mehr an Klarheit vernichtet als vorher auch schon nicht da war.

Doch Buddha blieb stumm. Er zwinkerte noch nicht mal mit den Augen. Würdevoll blickte er über mich hinweg als sei ich gar nicht vorhanden, und tat als hätte er kein Wort verstanden. Dabei wusste ich, dass er genau zuhört, wenn man zu ihm spricht. Ich kratzte mich am Hinterkopf und guckte schräg zu ihm hinauf. Kahlköpfig und halslos saß er da mit seinem gemeisselten Lächeln und die überbordende Leibesfülle machte mir nicht den Eindruck als sei sie das Resultat eines asketischen Lebens. Ein schlimmer Verdacht kroch in mir hoch: Wollte er die halbe Welt etwa zum Narren halten? Hey, dachte ich mir, der sitzt da und lacht uns alle aus. Etwas schien nicht so ganz zu stimmen. Ich kam ins Sinnieren.

„Schau mal“, sagte ich schließlich, „was macht es für einen Sinn, wenn du so schlaue Sachen wie Demut, Geduld und Bescheidenheit predigst, sich aber doch niemand darum schert und auch keiner danach lebt? Kommt dir nicht auch der Gedanke, dass du genauso zu Taubstummen reden könntest? Wohin ich auch gucke, so sehe ich das genaue Gegenteil: Habgier, Ungeduld und Angeberei. Und wer will denn noch von Lehrmeistern lernen? Unsere thailändischen Mitbürger etwa? Ha, dass ich nicht lache! Denen können ja noch nicht mal ihre eigenen Schulmeister etwas beibringen. Sie lernen wenig, können aber alles. Sie sind große Meister auf allen Gebieten und machen niemals Fehler. Ihr Wissen beziehen sie aus Comic-Heften und kreischenden Soap-Shows und ihr Geld holen sie sich in Form von Krediten, die sie nicht zurückzahlen. Au, Buddha, ich glaube, hier musst du durch harte Bretter.“

Mein Blick wanderte über den majestätisch ruhenden Bergweiher, auf dem ein schwarzes Schwanenpaar zu einem abendlichen Ausflug aufgebrochen war.

„Was hältst du von einem praktischen Beispiel?“ wandte ich mich Buddha wieder zu. „Sagen wir, ich leihe einem Thai Geld und er vertröstet mich mit der Rückzahlung, so warte ich ohne Murren in GEDULD. Wenn ich die Zahlungen anmahne, schickt er mir einen Boten ins Haus, der mir statt Geld in seiner mitgebrachten Tasche ein paar sehr griffige Argumente zeigt, also übe ich mich in DEMUT. Wenn der Schuldner nach einer Weile sang- und klanglos verschwindet, natürlich ohne zurückzuzahlen, dann übe ich mich in BESCHEIDENHEIT und nachdem ich dies alles ein paar Mal mitgemacht habe, übe ich mich in BESITZLOSIGKEIT und bin damit reif für den Gang in den Wat. Nach all den vielen Übungen ist mein Besitz nämlich von mir weg- und zu einem Thai hingegangen. Nun übe ich mich in GÜTE und VERZEIHEN, denn es ist sicherlich eine verirrte Seele.“

Jetzt sah ich ihn zum erstmal Blinzeln. Oder war es, dass die Sonne mir einen verirrten Strahl zugeworfen hatte? Nein, nein er schmunzelte, ich sah es genau. Buddha hatte Sinn für Humor. Augenscheinlich gefiel es ihm wie ich seine kundigen Anmahnungen in einen praktischen Thai-Kontext stellte. Er runzelte etwas die Stirn und schien nachzudenken. So hatte er das noch gar nicht gesehen.

Leben ist Leiden, hatte er immer gepredigt, und dem kann der Mensch nicht entrinnen. Nur mit den rechten Handlungsanweisungen ist ihm zu begegnen, wobei Ziel das Durchbrechen der ewigen Wiedergeburtswiederholungen ist und das Erreichen des erlösenden Nirwana, dem Ende allen Leidens. Aber in Thailand ist Leben Sanuk und darunter leidet ja niemand, weswegen es auch nicht bekämpft zu werden braucht. Schon gar nicht, indem man auf einem achtfachen Pfad wandelt, da ist eine plärrende Karaoke und reichlich Lao Khao* allemal ausreichend, zumal auch noch laufend edle Taten vollbracht werden! Oder hat es noch keiner erlebt wie harte whiskybeduselte Sanukkämpfer den vorbeigehenden Falang zum kostenlosen Mittrinken einladen? Mir scheint Thailand wirklich ein kleines Paradies zu sein. Hier muß sich keiner auf kompliziert zu begehende Pfade begeben, um ins Nirwana zu kommen. Nein, das Nirwana ist doch schon hier mitten unter uns! Sollten wir es vielleicht in Thaiwana umbenennen?

„Ach, Buddha“, sagte ich, und ließ meinen Blick verloren über seine Rundungen schweifen, „kann es sein, dass du etwas übersehen hast? Guck mal, du hast dich ein Leben lang geknechtet, hast unterm Feigenbaum am indischen Flussufer gesessen und dich durch zahllose Meditationen gequält, und im Alter von 35 Jahren zu guter Letzt die Erleuchtung erlangt, aber was ist mit Sanuk? Und was ist mit deinen thailändischen Landeskindern, frage ich dich? Diese feierfrohen Spaßpinsel mit ihren simplen Gemütern hast du völlig übersehen. Die halten dich doch für einen geizigen Langeweiler und sanukresistenten Spielverderber!“

In den jungen Casuarinenhain fuhr ein scheues Windchen und bog die hohen Bäume sanft als wollten sie sich zum Abschied verneigen. Ein Windspiel klingelte über einem Altar und aus dem verdorrten Sträuchermeer auf den Hügeln schickte mir ein Schreivogel seine gellenden Abendrufe herüber. Das milde Licht der ersterbenden Sonne spannte noch einmal einen grandiosen Lichterschirm voller würziger Farben auf, als solle den Totengeistern trotzig die Schönheit des Diesseits vorgeführt werden. Selbst dem Buddha glänzten noch einmal gülden die Bäckchen. Ich stieg zu meinem Rad hinab, begleitet vom Rascheln der kleinen Echsen, die durchs Unterholz Reissaus nahmen, doch auf halber Höhe drehte ich mich noch einmal zu IHM um.

„Weißt du, Buddha, du hast es gewiß nur gut gemeint. So wie auch wir hier manchmal gutmeinende Dinge tun, die uns aber nicht gedankt werden. Doch könntest du dir vorstellen, noch einmal darüber nachzudenken, ob du speziell für unsere lieben thailändischen Landesfreunde deine Lehren überprüfst? Vielleicht wäre ihnen ja schon geholfen, wenn sie auf ihrem achtfachen Pfad ein Moped benutzen dürften, was meinst du? - Sawadi bi mai*, Buddha!“



*Wai = thailänd. Begrüßung mit zusammengelegten Händen vor der Brust

*Wat = Tempel

*Kwam Suk = Glücklichsein

*Sabei = Wohlbefinden, sich wohl fühlen

*Sanuk = Spaß haben

*Lao Khao = Reisschnaps

*Sawadi bi mai = Frohes Neujahr!



(c)Paul Martini, 31. 12. 2006

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