Dienstag, 9. Februar 2010

Der Geist der alten Thailehrerin (7)

Teil 7, Die deutsche Hölle

In den letzten vier Wochen war sie durch eine Hölle gegangen und es schien einfach kein Ende zu nehmen. Zu Hause in ihrem Dorf im Isaan hielten sie sie alle für eine „Madame“, weil sie doch einen „Farang“ geheiratet hatte und nun mit ihm in ein besseres und bequemeres Leben entschwinden konnte. Doch keiner hatte Mäo auch nur im Ansatz darauf vorbereitet, was wirklich auf sie zukommen würde. Mit dem kalten Wetter, dem Regen und dem garstigen Wind kam sie schon klar. Die kartoffellastige Kost war gewöhnungsbedürftig, aber so lange sie sich in der Küche ihren Somtam zusammenklöppeln durfte, konnte sie damit leben. Viel schlimmer wog, dass sie keine Freunde hatte, dass sie die fremde Sprache nicht verstand, dass überall Türen geschlossen waren und dass man mit dem Moped nicht zum Einkaufen fahren konnte. Hinzu kamen die völlig merkwürdigen deutschen Lebensweisen. In Thailand gab man niemandem zur Begrüßung die Hand wie man Körperberührungen jeglicher Art sorgsamst vermied, und wenn man nach ein paar Einkäufen irgendwo einen Laden verließ, so war es der Sitte genug getan, wenn man seine Plastiktüten zusammenraffte und sich wortlos verdrückte. Kein „bye, bye“, kein „Auf Wiedersehen“ war vonnöten.

Es hieß die Menschen in Deutschland seien herzlich und anteilnehmend. Doch Mäo gewann eher den Eindruck, dass sie es mit mißvergnügten, nörgelnden Miesmachern zu tun hatte, deren größter gesellschaftlicher Sport, das Aufspüren der Fehler von anderen zu sein schien, die man jenen auch umgehend genüsslich unter die Nase rieb. War sie es aus Thailand gewohnt, seinen Mitmenschen in geradezu übertriebener Angst nur ja keinen Gesichtsverlust zuzufügen, so fand man hier überhaupt nichts dabei, andere öffentlich bloßzustellen und sie mit Kritik zu überhäufen.

Alles war so verflucht umständlich. Man benutzte das Auto oder öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen, aber kein Taxi. Sie konnte sich noch gut an das Wutgeheul ihres Mannes erinnern, als sie anfangs zum Einkaufen das Taxi benutzte und ihm darüber eine Rechnung über 50 Euro präsentierte. Viele Leute benutzten ein Fahrrad oder gingen weite Strecken zu Fuß, aber mit einem Fahrrad traute sie sich nicht in den fremden Verkehr, und zu Fuß laufen oder spazieren gehen hatte sie ja nie gelernt. Das tut doch niemand bei 34 Grad im Schatten! Jürgen hatte versucht, eine Arbeit für sie zu finden, doch ohne Deutschkenntnisse gab es keine Arbeit. Zwar hätte sie in einer Hotelgroßküche für 4 Euro die Stunde Geschirr spülen können, doch eine solch beleidigende Arbeit empfand sie als „Madame“ unerhört und unzumutbar und lehnte sie ab. Zwar konnte sie weder eine Berufsausbildung noch Berufserfahrung für irgendeinen Beruf vorweisen, doch war dies in ihren Augen auch völlig überflüssig. Schließlich war sie durch die Heirat mit ihrem ausländischen Ehemann bereits zu einem höheren Status aufgestiegen, was schließlich in Thailand allemal ausreichte, überhaupt nicht mehr zu arbeiten zu müssen.

In Thailand hatte Jürgen ihr von ihrem eigenen kleinen Thai-Imbiß vorgeschwärmt, den er ihr einrichten wollte und in dem sie selber Chefin sein könnte, doch in Deutschland zerplatzten diese schönen Vorstellungen wie Seifenblasen. Da sie in Thailand immer in guten Restaurants zum essen gegangen waren, war es Jürgen überhaupt nicht aufgefallen, dass sie eine absolut lausige Köchin war. Wie hätte sie denn in ihrem Isaan-Dorf auch kochen lernen sollen bei Somtam, Grillhuhn und Klebreis alle Tage?

So saß sie tagelang einsam zu Hause. Ihr war kalt und sie fror trotz aufgedrehter Heizung. Da ihr alles fremd war, reagierte sie mit Angst und Abwehr auf die ungewohnte Lebenssituation. Ständig hatte sie schweißnasse, kalte Hände und Füße. Sie guckte tagelang das fremdartige TV-Programm rauf und runter, das sie ebenso wenig verstand wie das Radio oder die Zeitung oder ein Journal, in dem sie lustlos den Bildern hinterher blätterte. Da man ihr während ihrer Kinderjahre in einer unseligen Thaischule schon früh jegliche Eigeninitiative und Lernmotivation gründlich ausgetrieben hatte, hatte sie auch nie gelernt, selber etwas zu erlernen, weshalb sie auch nicht auf die Idee kam, ihre reichliche freie Zeit teilweise dazu zu verwenden, sich aus eigener Kraft etwas Deutsch aus dem Lernbuch beizubringen. Unterdessen waren auch schon die ersten Bittstellungen aus der alten Heimat eingegangen. Ihr Vater fand, dass es endlich an der Zeit sei, den versetzten Acker bei der Bank auszulösen, damit er auf dem selbem endlich mit dem Bau eines kleinen Lebensmittelladens beginnen könne. Dies sei für die Familie ein Existenz sicherndes Zukunftsprojekt, dem sich Mäo doch sicherlich nicht verschließen wolle, zumal sich die abzutragende Restsumme auf lächerliche 60 000 Baht belaufe.

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