Donnerstag, 3. Dezember 2009

Die Bierdiebinnen

Eine ebenso verbreitete wie beliebte Abendunterhaltung in Thailand sind Karaokebars. Oder in abgespeckter Form auch Singer-Song-Bars. Der männliche Teil der Thaibevölkerung liebt sie. Zumeist besucht der Thai sie zusammen mit ein paar Freunden. Man trinkt Thaiwhisky mit Soda und kann auch ein paar Gerichte bestellen. Vielfach setzen sich Animiermädchen mit an den Tisch. In den Karaokebars treten Sängerinnen auf einer Bühne auf. Da die schwer betankten Männer nach einem solchen Abend die Rechnung nicht mehr korrekt kontrollieren können, wird auch schon mal mit allerlei unsauberen Tricks versucht, die Beträge kreativ aufzurunden. Hiervon handelt die folgende Geschichte.

Die Bierdiebinnen

Mir persönlich sind Karaokebars viel zu laut und nicht wenige sind die reinsten Abzockschuppen. Wenn man in dem schiefen Eselsgeheule dieser halbnackten Debütantinnen, die aussehen als seien sie in den Schminktopf eines Kirmeswagens gefallen, und die sich in ihren viel zu hohen Stiefeln etwa so anmutig bewegen wie die Holzschnitzfiguren eines Krippenspiels, auch noch einen Gesang erkennen könnte, dann wüsste man wenigstens wofür man sein Geld dort lässt!
Es begab sich, dass ein Freund von mir eine neue Bekanntschaft gemacht hatte. Eines Abends saßen wir gemütlich beim Bier, als jene anrief. Sie könne leider, leider nicht zu uns kommen, denn sie würde einer Freundin in einer Singer-Song-Bar – so heißen diese finsteren, verkrachten Musikschuppen, wo man zur Einwurfmusikbox zwar mitsingen kann, doch auf Tanzgirls verzichten muß – aushelfen und ob wir nicht zu ihr kommen könnten. Freilich konnten wir das! Der Lady Geheiß war uns Befehl. Also rein ins Auto und los gings quer durch die dunkle Nacht. Den Ortsteil kannten wir, die Bar aber nicht. Wir fanden sie dennoch. Sie befand sich im Erdschoß eines Townhauses. Dunkel wars draußen, dunkel wars drinnen. Die feierfreudigen Girls der Bar begrüßten uns mit großem Hallo und führten uns an einen freien Tisch. In der Ecke hing ein Fernsehgerät knapp unter der Zimmerdecke, in dem pausenlos Musikvideos liefen und im hinteren Teil stand eine bequeme Sofalandschaft, worin sich zwei ältere Farangs mit ihren offenkundig festgewachsenen thailändischen Schlingpflanzen tief eingegraben hatten.
Die neue Bekanntschaft meines Freundes hieß Noi und musste auf einmal überhaupt nicht mehr arbeiten. Stattdessen quetschte sie sich eng an seine Seite, von der sie fürderhin auch nicht mehr wich. Auch mir wurde eine gut gewachsene Thaischönheit vom Lande zugeteilt, die angeblich erst vor einer Woche die Unwirtlichkeit ihres Isaandorfes hinter sich gelassen hatte, um in dem verlockenden Touristenmekka die selbstverständlich überall achtlos herumliegenden Thaibaht aufzusammeln. Natürlich sprach sie kein Wort Englisch, was sie aber an diesem Abend auch nicht brauchte.
Wir bestellten Bier und sangen nach Kräften zu den Videos und es versprach ein rundum ausgelassener Abend zu werden. Mit der Zeit wunderte ich mich, dass das Bier immer so schnell zur Neige ging, bis ich bemerkte, dass die Bediengirls sich ungeniert und ausgiebig an unseren Bieren labten. Sie hielten uns wohl für halbblinde Trunkenbolde, die im Taumel ihrer wahrnehmungsgetrübten Bierseligkeit schon lange nichts mehr mitkriegten und waren plötzlich stocksauer, als ich ihren Bierdiebstahl aufdeckte. Die alten Haudegen aus der Kuschelecke waren mittlerweile auch aufgetaut und sprangen mit ihren Thaikätzchen etwas talentlos um die Tische, was ein wenig so aussah als hätte man einer Gruppe Lahmer und Bettlägeriger die Hosen angezündet. Unterdessen erzählte mir die Schönheit vom Lande herzbrechende Kummergeschichten aus der verlassenen Heimat, von karstigen Feldern, miserablen Ernten und rappeldürren Büffeln, von untreuen Ehemännern, hinfälligen Eltern und zurückgelassenen Kindern, und gab mit treuseligem Augenaufschlag bekannt, dass sie im fremden Hua Hin wohnungslos sei und ihr Barvermögen genau 1000 Baht betrüge.
Den Mann will ich sehen, dem vor solch packenden Rührseligkeiten das edle Herz nicht dahin schmilzt. Doch es kam ganz anders, als ihr nun denkt. Noi, die Bekanntschaft meines Freundes, hatte sich an all den vielen Bierchen wohl ein wenig verhoben, denn sie taumelte immer öfter zur Toilette, wo mein Freund sie bald in inniger Umarmung des Klobeckens vor ihrer letzten Reismahlzeit wieder fand. So war es Zeit zum Gehen. Die Rechnung kam, und sie war viel zu hoch. Die Rache der Bierspitzbuben. Mein Freund, ewig knapp bei Kasse und für harte Kampfverhandlungen nicht mehr in der Lage, hatte genug mit seiner Noi zu tun, deren Kopf mit verdrehten Augen in sein offenes Hemd gesunken war, aus dem eine säuerlich duftende Wolke aufstieg. Ich lehnte die Rechnung mit Verweis auf die listig hinzuerfundenen Phantasiebierchen ab und bat um eine Korrektur. Aber wer hat in einer Thai-Bar schon jemals erfolgreich über seine Rechnung verhandeln können? So blieben die Fronten verhärtet und es bahnte sich ein unguter Sanukabsturz an. Die Sofakameraden torkelten auch schon zum Ausgang, gestützt auf ihre Thaischneckchen. Da stand meine Isaanbraut auf, griff beherzt in ihre Hosentasche und zog den ihr angeblich einzig verbliebenen Tausenderschein hervor und warf ihn mit heroischer Geste auf das Zahltablett. Auf diese Wendung war ich nicht gefasst.
Ich verließ das Lokal und sank davor in der frischen Nachtluft auf ein wackeliges Plastikstühlchen. „Auweia, die muß noch viel lernen“, stöhnte ich vor mich hin. „Wer mit Farangs ausgeht, muß diese auch bezahlen lassen.“ Mein Freund kam nun auch heraus, seine nicht mehr gehfähige Noi über der Schulter, und hinter ihm die ausgefuchsten, hintertriebigen Bierdiebinnen, die in der Annahme, dass wir den Ausgleich der Forderungen nicht mitbekommen hatten, noch immer mit der Rechnung wedelten. So zahlten wir endlich. Wir wollten das dumme Isaanhascherl denn doch nicht für uns aufkommen lassen und dachten, dass sie nun ihr Geld zurückerhalte. Doch weit gefehlt! Nächstentags mussten wir erfahren, dass die raffinierten Bargirls ihr weiterhin mit Verweis auf ihre zechprellerischen Farangbegleiter das Geld vorenthielten. Sie hatten die Rechnung geschickt zweimal kassiert.

©Paul Martini, 17. 5. 2008

1 Kommentar:

  1. Hallo,

    schön geschriebener Artikel! Der Begriff "Sanukabsturz" ist herrlich. Muss ich mir merken. :-)

    Gruß

    Lutz

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