Freitag, 4. Dezember 2009

Der König kommt

Schon beim Frühstück raunte mir die beste aller Ehefrauen bedeutungsvoll zu, daß heute abend der König kommt. Nein, nicht zu uns nach Hause, sondern in seinen "Sorgenfrei-Palast" hier in Hua Hin. Die Nachbarin kam und fragte, ob ich denn ein gelbes Hemd besäße. Nein? Na, dann täte es auch eins in Bonbonrosa. Wie bitte? Aber eine lange Hose müsse ich anziehen. Ich besitze keine Hemden in den nachgefragten Farben, und eine lange Hose empfinde ich bei diesem dampfenden Waschküchenwetter da draußen mit Temperaturen von 35 Grad als eine rechte Qual. Ob der Thaikönig weiß, was ich da möglicherweise für ihn auf mich nehme? (Ich weiß, ich stelle die falschen Fragen.)

Kurz vor 19 Uhr duschte ich mich und zwängte mich tatsächlich in eine frische lange Hose, wobei der Bauch etwas sperrte. Dann schwang ich mich auf mein Fahrrad und strampelte frohgestimmt über unsere schöne breite Soi, die nach monatelanger Bauzeit endlich gefahrlos zu befahren ist, auf den Petchkasem Highway Richtung Flughafen. Wir wohnen nur etwa 500 Meter davon entfernt. Auf der anderen Seite des Highways war eine wahre Völkerwanderung aus Uniformen und gelben Hemden unterwegs, die am Rande der Straße in langen Reihen Aufstellung nahm.

Kaum war ich am Flughafen angekommen, kamen auch schon mehrere schwere Limousinen hintereinander in strammer Fahrt herausgeprescht und bogen Richtung Hua Hin ab. Die Kameraden in Braun hielten mit Trillerpfeife und Leuchtstöcken den Verkehr in Schach, damit die Karawanen freie Fahrt hatten. Aber urplötzlich war der Spuk vorbei und auch die Verkehrspolizisten verschwanden, doch die vielen Menschen am Straßenrand blieben stehen. Nanu, wie hieß dieser Film schon wieder? Ich bog auf das Flughafengelände ein. Das Empfangsgebäude war hell erleuchtet, aber ich konnte keine Menschenseele darin sehen. Davor stand eine zweimotorige Düsenmaschine der Königlichen Royal Airforce mit offenen Türen und noch laufenden Motoren, die offenbar gerade gelandet war. Da muß wohl so etwas wie eine Vorhut angekommen sein, dachte ich mir. Der König wird wohl noch kommen.

Ich radelte wieder nach Hause, nachdem es aus den Reihen munkelte, dass der König erst gegen 21 Uhr eintreffe. Doch der König kam weder um 21 Uhr noch um 22 Uhr und auch nicht um 23 Uhr. Es war 23.40 Uhr als die schlohweiße Königslimousine an unserem kleinen Flugplatz vorbeifuhr. Die Polizei hatte den Verkehr auf dem sechsspurigen Highway zum Ersterben gebracht. Nichts regte sich. Es war tiefe Nacht und mucksmäuschenstill. Selbst aus dem Menschenmeer unter den orangegelben Straßenlaternen, das die Polizei mit festem Stiefelschritt zu einer disziplinierten, endlosen Spalierreihe aus ergeben wartenden Königsverehrern geformt hatte, drang kein Laut. Nur die Mücken umschwärmten unsere Köpfe in gewohnt respektloser Weise, und von Ferne brüllte die schwerblütige Diesellok eines Nachtzuges.

Am Straßenrand stand das Volk des Königs. Knapp 5 Kilometer sind es vom Flugplatz bis zum Königspalast und 5 Kilometer lang war die geschlossene, lückenlose Reihe von gelben Hemden und adretten Uniformen. Komplette Universitätsklassen in ihrer Einheitskluft, Staatsbedienste in ihren hellbraunen Dienstanzügen, Firmenangestellte in gelben Hemden. Da stand das Volk des Königs wie eine nicht wanken wollende Mauer seit 5 Stunden hinter selbstgebastelten Spruchbändern und Transparenten, fähnchenwedelnd und mit brennenden gelben Kerzchen in der tropischen Mückennacht, um für einen Sekundenbruchteil einen Blick auf ihren gottgleichen Monarchen zu erhaschen, der endlich mit gebremster Fahrt ganz nah an ihnen vorbeirollte. Ein denkwürdiger Augenblick, ein gänsehauterzeugender Glücksmoment, fraglos jeder Mühsal wert.

Was ist das für ein Volk? Von Kindesbeinen an lernen sie zu gehorchen und in Reihen zu stehen, sich gleich zu kleiden und sich unauffällig und höflich zu verhalten. Sie lernen Schroffheiten zu vermeiden und Gefühle zu kontrollieren. Ihre Geduld und ihr Ausharrvermögen erreichen überirdische Formen, und ihre kindliche Nettigkeit ist legendär und hat weltweiten Ruf. Was ist das für ein Volk? Da harren tausende uniform gekleidete Menschen still und bescheiden mitten in der Nacht am Rande der Straße stundenlang auf ein Sekundenereignis, in dessen Kulminationspunkt man gewahr wird, wie aus bewegender persönlicher Anbetung ein glühendes Nationalgefühl wird, hinter dem alle individuellen Regungen zurückbleiben müssen und das eine für alle deckungsgleiche Identität stiftet, ein Volksgeist, wo jeder Einzelne sich als Teil eines großen Ganzen wiederfinden kann, unterschiedslos, stolz und selbstbewußt. Was ist das für ein Volk?

©Paul Martini, 11. 6. 2008

3 Kommentare:

  1. ... ja, sogar in jeder A-Go-Go-Bar hängt ein Poster vom König, so unbedarft ist dieses liebenswerte Volk in seinem Götter-Glauben!

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  2. >>Was ist das für ein Volk?<<

    fragst Du als beobachtender -und beantwortest diese doch sogleich.
    >>...wo jeder Einzelne sich als Teil eines großen Ganzen wiederfinden kann, unterschiedslos, stolz und selbstbewußt.<<

    Dank des Königs "Rolle" hat dies Volk einen Gemeinschaftsgeist, der ohne IHN in Chaos und Elend enden würde a la Pol Pot.

    Gönnen wir ihnen diesen Zusammenhalt als Nation, trotz der widrigen landesfürstlichen Feudalismusstrukturen.
    Zum Vergleich;
    Europas Staatenbund wird gerade multikulturell und aufhetzend -(muslimische Migranten als Sündenbock für finanzielle politische Korruptheit)- politisch korrekt angepasst in eine Einheitskaste a la EUdssR.

    Trotz allem, Werter -Paul-,
    deine Zeilen ein Genuss an Sprache und Wortwahl.

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