Donnerstag, 14. Januar 2010

Der Geist der alten Thailehrerin (3)

Teil 3, Der Geist der alten Thailehrerin

Der Geist der alten Thailehrerin saß nun im Geäst der mächtigen Tamarinde und wartete auf seine Wiedergeburt. Er wollte nicht noch einmal Schulmeister werden, denn dies hatte er schon das letzte Mal als Bestrafung seines vorgehenden Lebens empfunden. Da war er Verkehrspolizist auf einer sehr belebten Bangkoker Straßenkreuzung gewesen. Seine Vorgesetzten forderten ständig mehr Geld von ihm, das er den Autofahrern für nichtigste Vergehen abnehmen sollte, aber er konnte natürlich niemals mit den guten Ergebnissen seiner Kollegen mithalten, die an Straßen mit hohem Farangaufkommen Dienst taten. Auf seiner Kreuzung kamen doch nur sparsame Familienväter, Krankenschwestern und kleine Gemüsebauern aus dem Umland vorbei. Da konnte er keine fünffachen oder zehnfachen Strafen kassieren wie von den fetten Farangs, die schon wegen der mangelnden Sprachkenntnisse leicht auszunehmen waren. So wurde er auch nie befördert und blieb sein Leben lang einfacher Streifenpolizist.

Der Geist seufzte schwer, aber er unterbrach sein mahlendes Weinen nicht. Er hatte keine Lust mehr auf eine neuerliche Wiedergeburt. Es war doch immer die gleiche Leier. Man kommt mit nichts auf die Welt als mit einem blanken Popo und dann beginnt ein lebenslanger Kampf darum, wie man anderen das Geld abnimmt und davon auch möglichst noch viel, damit man sich Dinge kauft, die man gar nicht braucht, wovon man sich aber einflüstern läßt, dass man sie brauchen würde, und wenn man stirbt, bleibt einem ja doch nichts weiter übrig als eben der gleiche nackte Popo. Wofür die ganze Aufregung? Am liebsten würde er hier bis in alle Ewigkeit sitzen bleiben. Aber das kam ihm noch viel grauenvoller, viel auswegloser vor. Die Menschen haben Angst vor dem Tod, aber die Geister haben Angst vor der Ewigkeit. Es gibt kein Ende. Sie können nicht sterben. Schrecklich! Und dennoch ist es ihr Los. Zwar müssen sie hin und wieder in neue Körper schlüpfen, aber schlussendlich bleiben sie unvergänglich. Im Gegensatz zu den Menschen können sie sich an alle ihre Leben erinnern, aber weil sie immer wieder in neue Menschen fahren, können sie von ihrem Wissen und ihren Lernerfahrungen nichts davon hinüber retten. Der Mensch muß immer wieder neu anfangen, der Geist aber braucht es nicht.

Der Geist der alten Thailehrerin stöhnte leise. Er war alles so furchtbar leid.
In seiner hilflosen Suche hatte er vor einiger Zeit den Geist eines alten Thaimönchs getroffen, der noch immer in dem mumifizierten Körper hinter einer Glasvitrine in einem Tempel wohnte. Er war ein neckischer Kerl. Er wollte einfach nicht ausziehen und in der Geisterwelt herumwandern, sondern blieb im Wat und machte sich einen Spaß daraus, die Besucher, die in den abendlichen Andachtsstunden des aufgebahrten Toten gedachten, zu verwirren. Mal steckte er die Blumen mit den Köpfen nach unten in die Vase, mal schüttete er Chilipulver in den herumgereichten Tee und mal schlüpfte er hinter die Gesichter der Angehörigen, die vor dem Kühlsarg und dem Bild des Toten zu einem letzten Schnappschuß aufmarschiert waren, und ließ sie in einem grässlichen Flaschengrün erstrahlen. Der Mönchsgeist bebte vor spitzbübischem Entzücken, wenn die derart Gefoppten mit Schaudern aufschrieen und den unruhevollen Geist des unlängst Verblichenen der Taten bezichtigten, dabei war dieser schon lange von jenem ausgefahren und stromerte über die weiten Geisterbahnen, endlich seine Freiheit genießend, denn jeder Geist ist froh, wenn er das alte Martergerippe so schnell wie möglich verlassen kann.

Der Geist der alten Thailehrerin fand an solcherlei Spukereien keinen Gefallen. Er wollte seine Ruhe haben, auch wenn es eine ereignislose, eine Totenruhe war. Er hatte dem Mönchsgeist sein Sündenregister aus seinen Lebzeiten vorgehalten, aber der kecke Kerl spuckte nur darauf. Das waren doch wirklich olle Kamellen, fand er, die keinen mehr interessierten. Klar, war es kein Ausweis seiner Frömmigkeit, wenn er sich des nachts in die Kluft eines Tagelöhners zwängte, sich eine Strickmütze mit Augenschlitzen ins Gesicht zog, damit man seinen kahlgeschorenen Schädel nicht bemerkte, und sich mit ein paar Spendengeldern aus dem Wat schlich, um sie in einem Puff in der Stadt zu verjubeln. Die Mädchen hielten ihn für einen arbeitsamen Familienvater aus einer Blechbarackensiedlung am Stadtrand, der auf Abwechslung aus war, doch ihm kam es sogar noch recht genial vor, wie er auf solch originelle Weise für einen selbstinszenierten Rücklauf der gespendeten Gelder sorgte. Dies ging lange Jahre gut und nur einmal wäre sein kleines Geheimnis fast herausgekommen, als er in der Bar des Puffs einem Mönchsbruder begegnete, von dem er sich im letzten Moment noch abwenden konnte.

Der Geist der alten Thailehrerin wurde schnell gewahr, dass der Mönchsgeist nie ein guter Freund für sie werden wird. Angewidert saß er im Geäst des Tamarindenbaums und schaute auf das übermütige Treiben des Mönchsgeistes, der immer zu Späßen und Schabernack aufgelegt war und nichts und niemanden ernst nahm. Doch ohne Freunde war selbst ein Geisterleben nur die Hälfte wert. Und gute Freunde zumal, mit denen man zusammensitzen und die Zeit verplappern konnte oder vielleicht sogar Ausflüge in den Geisterorkus machen konnte, waren noch viel schwerer zu finden. So saß er da und konnte nicht aufhören, sein Schicksal zu beweinen, und schon dachte er, dass er bis in alle Unendlichkeit auf diesen Ästen sitzen müsse, dumpf brütend und wie in Betäubung schmorend, alle Tage freundlos und ohne erhellende Lichtblicke. Doch dann kam eines Tages der Geist von Nui, einem kleinen Thaimädchen vorbei, der ihn mitzog und zu gemeinsamen Spritztouren ermunterte.

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